Samstag, 27.09.2008: Aufstieg insgesamt 1.369 Höhenmeter, Abstieg insgesamt 544 Höhenmeter.
Unsere Gruppe, bestehend aus Wolfgang, Renate, Lucia, Peter, Sieglinde, Robert, Paula, Martin als "Berichterstatter" und Reinhard Stracke als Tourenführer, ist kurz nach 8:30 Uhr in Meersburg komplett. Durch den Pfänder- und den Arlbergtunnel fahren wir nach Imst, wo wir von der Inntal-Autobahn ins Pitztal abbiegen. In St. Leonhard, Ortsteil Trenkwald (1.501 m) parken wir den DAV-Bus. Hier stößt Andreas aus Erding noch zu unserer Gruppe. Zu unserer Überraschung ist das Wetter eher trübe und wolkig. Um 10:45 Uhr beginnen wir den Aufstieg durch den Wald, zunächst kurz nach Norden, dann nach Osten ins Hochtal oberhalb des Hundbachtales. Der Weg, an mehreren Stellen abgerutscht, steigt wie fast alle Wege dieser Tour steil an und fordert gleich unsere Kondition und Trittsicherheit.
Rasch verliert sich der Wald in Grashängen und Latschengestrüpp. Weiter oben, wo der Weg etwas weniger steil ist, treffen wir einen Schafhirten mit zwei Jungen, der gerade seine beträchtlich große Herde zusammenruft. Er erzählt, dass morgen der Almabtrieb sei und er die Schafe über den Pass ins Ötztal führe. Das erstaunt nicht, den es ist bewölkt und relativ kalt; Raureif klebt an jedem Grashalm.
Wir steigen aus dem Hundbachtal auf dem Mainzer Höhenweg nach rechts in einen kaum noch begrasten, zunehmend steilen und blockigen Hang nach Süden in Richtung Kapuziner-Jöchle (auch: Rotkarl-Joch, 2.709 m). Wir laufen in die Wolken hinein; die Sicht ist schlecht und der Weg zunehmend verschneit und rutschig. Unterhalb des Jochs ist der Weg mit Ketten gesichert, doch ist die Benutzung aufgrund der Kälte ohne Handschuhe nur unter Schmerzen möglich. Doch auf dem Joch erleben wir, wie die Sonne die Wolken mehr und mehr verdrängt. Wir blicken nach Westen auf die stattliche Röfele-Wand auf der anderen Talseite und gönnen uns die wohlverdiente Vesper- und Fotopause. Auf der Ostseite des Jochs glänzen die leicht verschneiten Steilhänge der Hohen Geige.
Wir steigen in Kehren gut 200 Höhenmeter ins Rötkarle ab, wo wir uns zunächst ohne weiteren Höhenverlust durch Blockwerk quälen und insgesamt zwei aufgeschlagene Schienbeine holen. Unterhalb des nächsten Sattels, Gahwinden (2.600 m), bemerken wir den ersten Steinbock, zwei weitere Tiere, als wir auf dem Sattel bei Bank und Kreuz eine kleine Pause einlegen. Beeindruckend steil der Hang ins Tal, Plangeroß (1.600 m) liegt wie Spielzeug unter uns, mächtig die Watzespitze im Westen (andere Talseite) mit ihrem steilen, in der Mitte durch Seraks geteilten Gletscher, der eingeschlossen ist von einem schön geschwungenen Grat mit zwei Gipfeln.
Direkt auf Gahwinden beginnt der Aufstieg über den Westgrat zur Hohen Geige, der hier breit und völlig harmlos aussieht.
Der Abstieg zur Rüsselsheimer Hütte, ehemals Neue Chemnitzer Hütte (2.323 m), erfolgt auf einem großzügig angelegten Weg durch einen stattlichen Grashang. Der Weg trifft ca. 50 Höhenmeter über der Hütte zur Abzweigung nach Osten ins Westmaurachkar. Hier beginnt der Hauptweg zur Hohen Geige, dazu die Möglichkeit, über das Westmaurachkar und das Westmaurachjoch (über 2.900 m) ins Ötztal und zur Braunschweiger Hütte zu gelangen.
Wir kommen 16:15 auf unserem Etappenziel an. Die späte Nachmittags- und Abendsonne schafft eine goldene Atmosphäre, Watzespitze und Verpeilspitze bleiben allerdings weitgehend im Dunst versteckt.
In der Hütte locken leckerer Kaffee mit hervorragendem Apfelstrudel und Sahne. Ebenso hervorragend das Abendessen - Der Wirt verwöhnt uns mit Steinbockgulasch mit Preiselbeeren, Knödel und Rotkraut.
Die Gespräche am Abend drehen sich um Friedenssicherung und Bundeswehr, Witze werden erzählt - doch eine offene Frage nehmen wir mit in die schön hergerichteten Matrazenlager: Der Wirt empfiehlt uns den Westgrat, der unter seiner Mitwirkung im oberen ausgesetzten Bereich auf 100 Meter Länge mit Fixseilen aus Stahl gesichert ist; der Normalweg sei nach dem Schneefall der vergangenen Nacht nicht angenehmer zu begehen. Was also tun?
Sonntag, 28.09.2008: Aufstieg insgesamt 1.144 Höhenmeter, Abstieg insgesamt 1.858 Höhenmeter
Wecken um 6:00 Uhr, damit wir kurz nach 7:30 Uhr aufbrechen können. So hoffen wir, dass uns Kälte und Schnee keine Probleme bereiten - es hat beim Aufbruch immer noch acht Grad Minustemperatur. Wir erleben beim Frühstück, wie das ganze Tal mit den Gipfeln in geheimnisvolles blaues Leuchten getaucht wird. Schließlich erscheinen die Gipfel im Südwesten und Westen im orangenen Licht der Morgensonne - ein herrlicher Tag kündigt sich an!
Wie gestern auch gewinnen wir auf dem Schutt des Westmaurachkars rasch an Höhe. An der Weggabelung Richtung Gahwinden treffen wir die "50/50-Entscheidung" (Reinhard) gegen den Westgrat. Dafür spricht nicht nur die um 1/2 Stunde kürzere Dauer, sondern auch der Gedanke, beim Abstieg den eigenen Spuren folgen zu können. So halten wir uns auf markiertem Weg am Nordrand des Kars; der kleine See macht sich währenddessen rechts von uns hinter einer Moräne unsichtbar.
Nach ca. 350 Höhenmetern erreichen wir eine Blockwerk- und Felsrippe in der Südwand der Hohen Geige. Sie erweist sich als gut begehbar; an einzelnen Stellen verlangt sie den Einsatz der Hände. Im oberen Bereich ist sie etwas verschneit, doch ist der Schnee bei aller Kälte griffig und für geübte, routinierte Tourengänger gut zu begehen. Deshalb immer wieder die Frage: den Pickel einsetzen oder klettern? Ungefähr auf 3.000 m, gut 100 Meter unterhalb eines Plateaus ist nach links eine aufsteigende Querung zum Westgrat angezeigt. Wie steigen jedoch im Hang bis zum Plateau hinauf (ca. 3.130 m). Hier zeigt links (d.h. am Westende) ein mächtiger Steinmann den Abstieg über den Westgrat an.
Aufgrund des Firns sind die Gamaschenträger in unserer Truppe im Vorteil. Wir gehen links am Firnfeld vorbei und kämpfen uns sehr angestrengt die letzten 200 Höhenmeter bis zum Gipfel (3.393 m) geradeaus den etwas verschneiten, mit Platten und kleinen Blöcken übersäten Hang hinauf. Nur Peter hält sich südlich des Plateaus und erreicht in einer eleganten Linkskurve den mit etwas Schnee bedeckten, sehr gut begehbaren Südgrat. Er kommt als erster auf dem Gipfel an.
Oben herrscht Begeisterung angesichts des überwältigenden Rundblicks: Im Norden weiß glänzend das Zugspitzmassiv, umgeben von den grauen nördlichen Kalkalpen. Im Osten das Ötztal mit zahllosen über 3.000 Meter hohen Gipfeln. Ob in der Ferne im Osten der Großglockner zu finden ist, finden wir nicht heraus. Im Südosten fast die kompletten Dolomiten: Relativ im Vordergrund der schwarze Schatten des Langkofel, im Süden die Marmolata und der Rosengarten. Direkt im Süden als Abschluss unserer Bergkette die Wildspitze, neuerdings zweithöchsten Berg Österreichs erklärt. Rechts am Horizont die drei Gipfel der Ortlergruppe. Richtung Südwest die mächtige Berninagruppe. Unter den zahllosen Gipfeln im Westen fallen der Tödi mit seinem Schneekapperl und das Dach des Piz Kesch besonders auf. Gleißende Helligkeit im Gletschergebiet am Ende des Pitztales, wo mir unter zahllosen markanten Gipfeln und Kuppen das dunkle Dreieck der Blinkspitze am besten gefällt.
Vom Gipfel der Hohen Geige blicken wir auch direkt nach unten auf die Gletschergebiete, durchzogen von Rippen (im Südosten ist des der Pirchlkarferner, begrenzt von der Silberschneide und der Inneren Wilden Schneide) unter dem Gipfelmassiv, die den Berg auf drei Seiten umgeben.
Nach 20 Minuten, gegen 11:40 Uhr, reißen wir uns los von der beeindruckenden Szenerie - die kalte Zugluft fordert uns zum Abstieg auf. Wir steigen über den Südgrat ab, wo wir aufpassen, dass wir auf dem Schnee, der in der Sonne weich geworden ist, nicht ins Rutschen kommen.
Mächtig und gefährlich wirkt der weitere Abstieg über die teilweise ausgesetzten Passagen der Felsrippe. Besonders auf dem nassen, rutschigen Schnee erfordert jeder Tritt volle Konzentration - den eigenen Schwerpunkt zu spüren und die Füße bewusst zu setzen lässt mich die Tour gewissermaßen als Neuerfindung des aufrechten Ganges spüren. Die Frage, ob hier der Pickel gut zu gebrauchen wäre, erledigt sich bald von selbst, denn die Sonne hat mittlerweile ganze Arbeit geleistet - der Schnee ist im mittleren und unteren Bereich der Felsrippe geschmolzen und verdunstet und es wird merklich wärmer. Bei einigen kleinen Pausen genießen wir nochmals den Blick auf die Watzespitze oder auch nur in das Westmaurachkar hinunter mit seinem grünen See. Um ca. 15:00 Uhr erreichen wir wieder die Rüsselsheimer Hütte, wo wir bei Getränken und leckerer Knödelsuppe die rundum schöne und gelungene Besteigung feiern.
Ca. 16:00 bis 17:30 Uhr steigen wir die gut 700 Höhenmeter nach Plangeross hinab. Wohltuend ist die warme, goldene Nachmittagssonne, ebenso der Wildbach links unter uns. Ca. 150 Höhenmeter unterhalb der Hütte queren von links zwei Bäche den Weg, der hier notdürftig mit Balken und Eisenträgern gesichert ist. Nach zwei Dritteln Länge quert der Weg Latschengehölz und Bergwald. Auf der Talsohle angelangt, stellen wir erfreut fest, dass der vorausgeeilte Reinhard bereits den DAV-Bus aus Trenkwald geholt hat. Beim Umziehen bewundern wir die weiße Wand, die hinter Planegross das Pitztal teilt. Bei der Rückfahrt durchs Tal in Richtung Imst leuchtet uns die Hohe Geige immer wieder weiß hinterher. Ein wunderschöner Anblick, den wir bei der Anfahrt aufgrund der Wolken nicht genießen konnten.
Ungefähr um 20 Uhr erreichen wir Meersburg; "die Überlinger" haben nun noch 15 Kilometer Autofahrt vor sich, wir alle mindestens einen Tag mit schweren Beinen - aber auch eine lange Zeit mit schönen Erinnerungen.
Dienstag, 30.09.2008: Faszinierende Technik - Per GPS u. Hactronic hat Wolfgang die Tour auf den Höhenmeter genau dokumentiert, was mir bei der Niederschrift des Tourenberichts sehr nützlich ist. Vielen Dank! - mz-
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